Es passierte am Montagabend ganz leise und gleich zweimal: Das regierende Lager aus SPD und der Linken stimmte Anträgen der Opposition aus CDU, Grünen und FDP zu.

Kirchhain. Was anderenorts für ideologiefreie kommunalpolitische Sachentscheidungen fester parlamentarischer Brauch ist, kann in der zerstrittenen und konfrontationsfreudigen Kirchhainer Stadtverordnetenversammlung getrost als Sensation gewertet werden. Eine solche Stärke, alleinige Anträge der SPD gutzuheißen, hat sich die KfK-Koalition aus CDU, Grünen und FDP in dem vom Chronisten miterlebten Zeitraum ab Juni 2010 nicht einmal gegeben.

Es ging über die zur Abstimmung anstehende Satzung über die Erhebung von Verwaltungskosten. Die CDU-Fraktion hatte dazu einen Änderungsantrag eingebracht, der sich gegen die in der neuen Satzung vorgesehene spürbare Erhöhung der Gebühren für die Außenbe­stuhlung Kirchhainer Gastronomiebetriebe in der Innenstadt wandte.

In der Begründung zum Antrag stellte der CDU-Fraktionsvorsitzende Uwe Pöppler völlig zu Recht fest, dass diese Erhöhung nicht im Einklang mit den Anstrengungen der Stadt zur Stärkung der Innenstadt und des Einzelhandels stehe. Eisdielen und andere gastronomische Betriebe seien wichtige Frequenzbringer für die Innenstadt, die auch Kunden in die Kirchhainer Geschäfte holten.

Diese Gedanken unterstützte die FDP-Fraktionsvorsitzende Angelika Aschenbrenner. Sie bescheinigte der Kirchhainer Außengastronomie, kreisweit einzigartig zu sein, und kündigte den Beitritt ihrer Fraktion zu dem Änderungsantrag an.

Der SPD-Fraktionsvorsitzende Karl-Heinz Geil erklärte ganz unaufgeregt: „Wir haben im Wahlkampf gesagt, wir wollen die Innenstadt stärken. Deshalb haben wir uns als SPD und Linke entschieden, dem Änderungsantrag der CDU zuzustimmen.“ So passierte die Satzungsänderung einstimmig das Parlament - ohne Gebührenerhöhung für die Gastronomen.

Das wiederholte sich bei einem gemeinsamen Antrag von CDU, Grünen und FDP auf Änderung der Geschäftsordnung, der auf eine zeitnahe Anfertigung der Sitzungsprotokolle abzielte. Auch dazu sagte Karl-Heinz Geil für SPD und CDU ja.

Wer glaubte, das bürgerliche Lager würde auf das Entgegenkommen mit verbaler Abrüstung reagieren, sah sich getäuscht. Im Gegenteil: Teile der Opposition zahlten mit der bekannten harten Kirchhainer Münze zurück.

Aus Olaf Hausmann wird „BM“

Zielscheibe der Attacken war bemerkenswerterweise meist Bürgermeister Olaf Hausmann, obwohl der sich weder an den das Klima vergiftenden Schlammschlachten noch an dem von der SPD verursachten Skandal um die Amtseinführung von Jochen Kirchner beteiligt hat.

Einige kleine Anfragen zielten darauf ab, dem Bürgermeister ein Fehlverhalten vorzuhalten. So wurde ihm in gleich zwei Anfragen vorgeworfen, sich in einem Gespräch mit dieser Zeitung über den Sachstand zum barrierefreien Ausbau des Kirchhainer Bahnhofs geäußert zu haben - möglicherweise ohne vorher städtische Gremien informiert zu haben. Ein Skandal? Nein. Olaf Hausmann hat sich nur rechtskonform verhalten. In § 4 des Deutschen Pressegesetzes heißt es: „Die Behörden sind verpflichtet, den Vertretern der Presse die der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgabe dienenden Auskünfte zu erteilen.“ Das hat Olaf Hausmann ebenso getan wie sein Amtsvorgänger Jochen Kirchner. Abgesehen vom rechtlichen Rahmen ist der Informationsanspruch der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt in einer zentralen Kirchhainer Zukunftsfrage mindestens ebenso wichtig wie die Pflege des wertvollen Egos verdienter Parlamentarier. Ein Ego, das es erlaubt, den gescholtenen Bürgermeister nicht mit seinem Titel und nicht mit seinem Namen, sondern als „BM“ anzureden. Das ist eine schon nicht mehr subtil zu nennende Respektlosigkeit gegenüber dem Bürgermeister, den der höchste Souverän am 6. März in freier und geheimer Wahl mit großem Vorsprung in dieses Amt gewählt hat.

Aber es kam noch schlimmer. Es ging um eine Resolution von SPD und Linke für Gebührenfreie Kindertagesstätten. Zu bezahlen vom Land Hessen. Wie praktisch. Das übliche Wahlkampfgetöse, nicht weiter der Rede wert. Schließlich weiß jeder politisch Interessierte aus seiner Zeit in der Schülerver­tretung, dass diese mühselig erarbeiteten Willensbekundun­gen fast immer das gleiche Schicksal haben: Sie landen ungelesen oder belächelt im Papierkorb. Aber einer machte zu diesem Thema das ganz große Fass auf, drohte seinen Kollegen einen langen Abend an, sollten diese nicht seinem Änderungsantrag zustimmen. Anderntags wurde im Kirchhainer Bürgerhaus viel über Demokratieverständnis gesprochen.

Zur Ehrenrettung der Stadtverordnetenversammlung sei gesagt: Es war nur eine sehr kleine Minderheit, die für diese Ausfälle sorgten. Alle anderen Stadtverordnete verhielten sich korrekt. So bleibt die Frage: Wer fängt die Ausreißer ein?

von Matthias Mayer